»Breaking News!«
Am 26. OKT: OPEN EARS!
Am 30. OKT: SUPER TUESDAY!
5 Komponisten in einem Auftrags-Projekt:
Loïc Le Roux (Frankreich)
Cya Bazzaz (Deutschland)
Beste Özçelebi (Türkei)
Apolline Jesupret (Belgien)
Junyu Guo (China)
„Anchorwoman“: Salome Kammer
Konzept, deutscher Text und Einrichtung: Astrid Vehstedt
Videoprojektionen: Sascha Kummer
Klarinette: Miguel Pérez Iñesta
Mit Texten von: Amal Ibrahim, Siham Djabbar, Gharam Al Rabi’i, Lutfia al Duleimi, Faliha Hasan (aus der Anthologie »Mit den Augen von Inana« Hrsg. Birgit Svensson, Schiler-Verlag) und Astrid Vehstedt und Friedrich Schiller.Vier Percussionisten aus der Magdeburgischen Philharmonie, dem MDR-Sinfonieorchester und der Staatskapelle Halle, Ensemble Tempus Konnex Leipzig.
Dirigentin: Nodoka Okisawa
Dirigent: Armando Merino
Coaching: Jean-Philippe Wurtz, Ensemble Linea Strasbourg
Im heutigen Irak, das seit vierzig Jahren von Krieg, Bürgerkrieg und Anschlägen heimgesucht wird, melden sich Autorinnen unterschiedlicher Generationen zu Wort. Es ist das Verdienst der deutschen Journalistin Birgit Svensson, deren Texte zu sammeln und auch Frauen zum Schreiben zu ermutigen. Auf diese Weise entstand das Buch „Mit den Augen von Inana“ (Schiler-Verlag), in welchem erstmals Lyrik und Prosatexte die Situation im Irak reflektieren. Während Männer meistens über die Taten (von Männern) schreiben, schreiben hier Frauen über die Folgen der Taten: über die Angst, über die moderne Scheherazade, deren Geschichten so gar nichts Märchenhaftes mehr haben oder von vermeintlichen „Märtyrern“.
Fünf junge Komponistinnen und Komponisten aus fünf Ländern setzen sich in der Internationale Masterclass am Bauhaus Dessau unter der Leitung von Annette Schlünz mit den Texten auseinander, die von Autorin Astrid Vehstedt in einen dramaturgischen, einer Reportage ähnlichen Rahmen gesetzt werden. Moderne Berichterstattung, Kriegshandlungen und ihre Folgen sind dabei thematische Schwerpunkte. Schnelle Information – Breaking News – steht im Kontrast zur Reflexion über die Folgen. Dabei werden Parallelen sichtbar bis hin zum Dreißigjährigen Krieg, dessen Ausbruch vor 400 Jahren in diesem Jahr gedacht wird.
Die Sängerin, Stimmkünstlerin und Schauspielerin Salome Kammer verknüpft die fünf vertonten Monodramen teils als Sprecherin, Moderatorin und Anchorwoman einer News-Sendung, flankiert von Videoprojektionen des Leipziger Filmemachers Sascha Kummer.
Breaking News
Astrid Vehstedt, 2018
Gedränge von Wagen: Die Toten haben’s eilig In der Hand keine Zügel Die Hände im Grab…
So beginnt ein Gedicht der irakischen Autorin Siham Djabbar, das Teil unseres Stückes Breaking News ist. Eile ist der Begriff, um den sich alles dreht, und er steht im krassen Gegensatz zu unseren klischeehaften Vorstellungen vom Orient, wo man Stunden mitein- ander beim Tee oder Kaffee verbringt. Auch heute, wo sich die Lage im Irak zu beruhigen scheint, wo Anschläge nicht mehr täglich stattfinden, war es uns nicht möglich, in Ruhe oder gar mit Muße durch die Straßen Bagdads zu gehen. Immer noch scheinen die Men- schen getrieben von der Angst, neben ihnen könnte eine Bombe hochgehen, die Le- bensmittel seien knapp, der Strom abgestellt. Sie gingen mit Tunnelblick an uns vorbei, obwohl wir als Ausländer, noch dazu in Begleitung von Bodyguards, hätten auffallen müs- sen. Die Darsteller aus Bagdad, die wir 2017 für unsere Musiktheaterproduktion „Spiel im Sand“ nach Deutschland eingeladen hatten, steckten ihre Aufladegeräte fürs Handy sofort in eine Steckdose, sobald sie nur eine sahen und zogen ihre Baseball Caps tief ins Ge- sicht, damit man sie nicht sofort erkenne. Es dauerte zwei Wochen, bis sich diese An- spannung zu lösen begann.
In Bagdad haben es also auch die Toten eilig. Aber wie sieht es im vergleichsweise friedli- chen Westen aus? Haben wir es hier nicht genau so eilig? Auf der Jagd nach dem nächs- ten Termin, dem größeren Gewinn, dem schnelleren Geld oder der neuesten Nachricht jagen wir durchs Internet, durch die Welt, durch die Zeit. Nachrichten brauchen nicht mehr Wochen, Tage oder Stunden, um zu uns zu gelangen, sondern sie sollen unmittelbar verfügbar sein. Das wissen ganz besonders Journalisten, die in Krisen- und Kriegsgebie- ten unterwegs sind: wer zuerst vom neuesten Anschlag berichtet, bekommt dafür bezahlt. Auf diese Weise werden wir, als Konsumenten dieser News, nur noch mit Informationen gefüttert. Die Hintergründe und Zusammenhänge verstehen wir nicht mehr. Und so erwei- tert das Wissen um das, was in der Welt geschieht, nicht mehr unseren Horizont, sondern verengt ihn. Wer erzählt uns schon darüber, was mit den Menschen wirklich geschieht, die von Kriegen, von Anschlägen, Flucht und Vertreibung betroffen sind?
Diejenigen, die uns im Irak, das nach der mörderischen Diktatur von Saddam Hussein und deren Untergang durch den Angriff der Amerikaner im Chaos des Bürgerkrieges versank, das anschließendem von den Mörderbanden des IS bedroht wurde und sich langsam aus der Spirale der Gewalt herausarbeitet – diejenigen also, die uns vom Befinden dieser Menschen berichten, sind die irakischen Autorinnen, deren Poesie und Prosa in der An- thologie Mit den Augen von Inana vereint ist. Sie haben auf sehr individuelle Weise eine Sprache für die Schrecken gefunden. Sie setzen sich mit den Dramen und Tragödien in ihrem Land auseinander und schaffen auf diese Weise die notwendige Distanz, mit der das Geschehen in langsamen Schritten bewältigt werden kann.
Eile ist spielt also auch in Breaking News eine Rolle. Eile bestimmt das Tempo der Nach- richten. Dem sind die reflexiven Texte der irakischen Autorinnen entgegengesetzt. Die Musik der jungen Komponistinnen und Komponisten und die poetischen, oft auch drama- tischen Texte der irakischen Autorinnen gehen in die Tiefe und setzen der Hast des All- tags ihre Ästhetik entgegen.